Hommage (Katalogbeitrag)

Es ist für mich ein großes Glück, wenn ich in mein Atelier gehen kann, die Tür nach draußen schließen, und einfach malen kann, sagte Sabine Herrmann einmal in einem Gespräch. Das ist das Zimmer für sich allein, das Virginia Woolf für alle Frauen forderte, und mehr noch, es bedeutet auch den Schlüssel dazu.

In Sabine Herrmanns Bildern geht es auch um Räume – Räume, die aus Farbe und Kompositionen von Strukturen entstehen. In vielen Schichten trägt Sabine Herrmann in Wasser oder Acryl gelöste Pigmente auf Papier auf, sie wischt entstandene Farbverläufe wieder aus, ganz handfest mit Tuch und Bürste, übermalt erneut und so entstehen vielschichtige Farbräume und durch Linien, Kreuzungen, Knotenpunkte und Schwerpunkte räumliche Architekturen, die manchmal architektonische Fragmente mit ins Bild nehmen. So erahnt der Betrachter die Seitenbegrenzung einer Rolltreppe (schwarz monodie, 2007) oder den Anschnitt eines Fensters, einer Wand (patio, 2010). Auf der Grenze von Abstraktion und Figuration sieht man Figuren, eine schwarze Blüte (dark flower, 2011) oder eine Menschenansammlung in der Reihe der Lampedusa-Monotypien. Daneben entstehen in den gleichen Arbeiten völlig autonome, freie Formfindungen. Da legt sich zum Beispiel in “patio“ eine weiße transparente Linienführung in vielen Windungen und Überkreuzungen über eine farbige Komposition, die ihrerseits eine bestimmte Räumlichkeit schafft. Dieses Weiß bedeutete in der klassischen Malerei eine Höhung, das heißt ein Nach-Vorn-Ziehen des Dargestellten, eine besondere Hervorhebung. Hier bedeutet es das Eigene, aus gemachten Erfahrungen Verdichtete zu finden.

Namenszüge von Künstlerinnen, die Sabine Herrmann zu ihren Vorbildern zählt, beidhändig geschrieben

Sabine Herrmann, ongoing dialogue, 2012

In den künstlerischen Arbeiten Sabine Herrmanns geht es auch um den Zugang zu den inneren Räumen, zu dem, was jemanden ausmacht, zu dem, was sie oder er ist. In dem Werkzyklus „blind“ zeichnet Sabine Herrmann mit geschlossenen Augen. Sie richtet den Blick nach innen und versucht sich damit von der strengen, akademischen Zeichenausbildung zu befreien.  Radierte sie zuerst die Linien ihrer streng akademisch gefertigten Zeichnungen solange, bis sie wiedergaben, was sie wünschte, so geht sie beim blinden Zeichnen noch einen Schritt weiter. Die Technik ähnelt der écriture automatique, einer Methode der Psychologie, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand, um Unbewußtes ins Bewußtsein zu holen, indem die eigene Zensur  ausgeschlossen wurde durch die Reduzierung des wachen Bewußtseins (Augen schließen, Halbschlaf, Trance…etc.) Die Zeichnungen wirken nicht glatt, eher suchend, die Linien flimmern, vibrieren, leben – einfach so. Und sie zeigen einen Zugang zu eigenen, unzenzierten Empfindungen, zu in Zeit und Raum verdichteten „Sensationen“ (Friederike Mayröcker).

Diese Art zu arbeiten findet eine Fortsetzung in den Werken „hommage“ und „ongoing dialogue“ (beide 2012), in denen Sabine Herrmann mit beiden Händen gleichzeitig die Namen der Künstlerinnen, mit deren Werken sie in einem vielfältigen Zwiegespräch steht, auf den Bildgrund schreibt und wieder übermalt. In diesem Gewebe aus Zeichen bedeutet es eine Entdeckungsreise für die Betrachter, sich die einzelnen, sehr zeichnerischen Namenszüge zu erlesen, deshalb sei hier auf ihre Aufzählung verzichtet. Mit beiden Händen gleichzeitig zu schreiben durchbricht jede Gewohnheit, geht ins ursprünglich Zeichenhafte zurück, wirkt ungeübt, suchend, ja fast ungeschickt. Linke und rechte Hand können auch für die linke und rechte Gehirnhälfte stehen, links für die Emotionen und rechts für den Intellekt. Zwischen beiden Händen (Bereichen) liegt die künstlerische Arbeit und schließt damit den Energiekreislauf, ja die Energie fließt direkt durch sie hindurch.

Es bedarf einer großen seelischen Energie, sich künstlerisch auszudrücken und man beginnt wohl nur, wenn man spürt, dass einen der Stoff in der Tiefe berührt und umtreibt. Wer sich in dem, was er ist, nicht ausdrückt, verpasst eine wichtige Möglichkeit zu erkennen, wer er ist (Peter Bieri, Wie wollen wir leben, St. Pölten 2011, S. 46 f.) Die Formen des Ausdrucks mögen ganz unterschiedlich sein, aber das, was entsteht, zeigt, so ist man auch. Und in der Zwiesprache mit Werken anderer, die Möglichkeiten der Identifikation und der Abgrenzung bieten, erfährt man, so ist man auch. Sabine Herrmann zeigt diese Prozesse anschaulich in ihrer Art, sich künstlerisch auszudrücken. Und um an den ersten Satz dieses Textes anzuschließen, so ist also der eigene Raum, gerade auch der innere, ein Freiraum, Selbsterkenntnis als Quelle von Glück und Freiheit zu erlangen.